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Richard
III
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↓ Nachtkritik
Richard III – Die Bremer Shakespeare Company eröffnet ihr
neues Theater zum 30. Jubiläum mit Shakespeares Oberfiesling
König im Nebel auf moosgrünem Grund
von Andreas Schnell
Bremen, 1. März 2013. Man hätte sich's kaum schöner
ausdenken können: In dem Jahr, in dem die Bremer Shakespeare Company ihr 30.
Jubiläum feiert, darf sie ihre alte Heimat neu beziehen: gründlich saniert
und umgebaut, bezahlt aus Mitteln des chronisch klammen Bremen.
Die Eröffnung des neuen Theaters am Leibnizplatz wurde
gestern mit "Richard III" gefeiert, dem einzigen Shakespeare-Stück,
das die Truppe noch nie gespielt hat. Und das nur wenige Wochen, nachdem
Archäologen die jahrhundertelang als verschollen gegoltenen Gebeine des
echten Richard III identifiziert hatten...
In guter Erinnerung bleibt neben Michael Meyers
Richard einer jener typischen Shakespeare-Company-Momente: Wenn sich eine der
sage und schreibe sieben Figuren Christian Bergmanns einklinkt und versucht,
Ordnung in das Gewimmel der vielen Edwards, Heinrichs und Richards zu bringen
– vergebens.
Die verkommene Gesellschaft hat keinerlei Interesse an
dieser (oder irgendeiner anderen) Art von Aufklärung, sondern kreist lieber
weiter um sich selbst. Sie wird mit den Folgen bekanntlich noch eine ganze
Weile leben müssen. Und vielleicht gibt diese kleine Szene mehr Antworten auf
die Fragestellung der Inszenierung als der Rest des Abends.
Richard III von William Shakespeare
Regie und Bühne: Ricarda Beilharz
Kostüme: Heike Neugebauer
Musik: Roman Beilharz
Dramaturgie: Eva-Maria Voigtländer
Mit: Michael Meyer, Peter Lüchinger, Kathrin Steinweg,
Frank Auerbach, Ulrike Knospe, Christian Bergmann, Theresa Rose.
Dauer: 3 Stunden, eine Pause
www.shakespeare-company.com
Amor-Verlag
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Hamlet
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↓ Weserkurier
Wäre Theater Popmusik, dann müsste man wohl von einem “Remix”
sprechen: Die Grundmelodie ist bekannt, aber die Variationen werden so
raffiniert darübergelegt, dass Original und Kommentar gleichzeitig ins
Schwingen geraten.Wandelbarer Hamlet. Und der Hamlet? Der wird hier von
Christian Bergmann gespielt; eine große, kräftige Erscheinung, bei der es zu
Beginn doppelt komisch wirkt, wenn der baumlange Mann weinerlich “Mama!”
schreit und einfach hintenüber in Ohnmacht fällt, als er von der
Machtergreifung seines Onkels erfährt. In seinem roten Pullunder sieht er
dabei wesentlich niedlicher aus, als sein wahres Wesen ist. Denn Christian
Bergmann kann ziemlich schnell und auch recht rabiat von einem Ton zum
anderen umschalten: vom Muttersöhnchen zum energisch bellenden Macho, vom
Clown zum Künstler und noch vieles mehr. Umschalten und überraschen ist
überhaupt die große Stärke dieser Inszenierung, die mit vielen tollen
Einfällen aufgeladen ist. Da die Company mit nur sechs Spielern durch das
große Stück prescht, sind Transformationen an allen Ecken und Enden zu
beobachten. Svea Meiken Petersen tritt als Gertrude und Ophelia abwechselnd
in Erscheinung. Und dort, wo die Übersetzung von Jürgen Gosch zwar beste
Verständlichkeit aber nicht genügend Ausdruck liefert, da ergänzt sich
manches an diesem Abend durch Körpersprache. Das Resümee? Ein großartiger
Theaterabend, den das Ensemble um den fantastisch aufspielenden Christian
Bergmann in der Titelrolle anbietet. Ein Hamlet ohne Marmorkälte, dafür mit
viel Energie und punktgenauen Einfällen. Applaus!
↓ taz
Regisseurin Nora Somaini hat mit der Shakespeare Company die
alte Geschichte und die alten Sprüche zu einem beinah multimedial gestalteten
Märchen auf die Bühne gebracht. Der Hamlet-Darsteller Christian Bergmann…
zieht die Zuschauer immer mehr in seinen Bann - als Verkünder der
Shakespeare-Wahrheiten und als Mann, dessen Irrsinn eine fast schon normal zu
nennende Reaktion ist auf die irrsinnige Welt. Dieser Hamlet überzeugte sein
Publikum vor allem im zweiten Teil.
↓ Bild
Das Schauspiel verbindet moderne Kunst mit den traditionellen
Worten Shakespeares. Alle Darsteller spielen absolut überzeugend. Christian
Bergmann begeistert in der Rolle des Hamlet mit extrem kraftvoller Stimme und
viel Ausdruckskraft. Diese moderne Inszenierung berührt und macht Spaß. Bei
der Premiere gab es zu Recht tosenden Applaus.
↓
Kreiszeitung
…außer vielleicht die Empfehlung an das Publikum, sich nächstes
Mal lieber eine andere „Hamlet“-Inszenierung anzusehen, eine, die nicht nur
verständlicher, sondern auch durchdachter ist als ausgerechnet diese der
Shakespeare Company. Wer den Text kennt, spürt sofort: Es geht in die falsche
Richtung! Um Missverständnissen vorzubeugen: Natürlich kann man ein solch
vielschichtiges Stück wie den „Hamlet“ unterschiedlich deuten. Die eine
richtige Interpretation gibt es nicht. Wer aber den Text liest, wird im
Normalfall zu dem Ergebnis gelangen, dass es sich tatsächlich – wie von
Shakespeare deklariert – um ein „Trauerspiel“ handelt und nicht um eine
Klamotte. Die Fallhöhe des Stücks ist verloren. Man nimmt der Inszenierung
keine Ernsthaftigkeit mehr ab: Sie rauscht vorüber, ohne den Zuschauer jemals
zu bewegen. Dieser „Hamlet“ ist der Shakespeare Company vollkommen missraten.
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Weser-Report
Mit „Hamlet“ liefert die bremer shakespeare company eine rasante
High-Tech-Inszenierung – angesiedelt zwischen Tragik und Klamauk.
Shakespeares bekannteste Tragödie ist tot interpretiert, tot gespielt.
Regisseurin Nora Somaini wagt mit gekürztem und bearbeiteten Text einen
Neuanfang. Sie erzählt das Stück als effektvolles Kammerspiel: Die Bühne
besteht aus einem nebulösen Schleier, die Videotechnik liefert supercoole
Projektionen, die zurückhaltende Musik wirkt stimmungsvoll ins sinnliche
Erlebnis hinein. Dass dieser „Hamlet“ nicht zur seelenlosen High-Tech-Show
gerät, ist Somainis ideenreicher, teils mit deftigem Humor gewürzten
Inszenierung sowie einem exzellent agierenden Schauspieler-Ensemble zu
verdanken. Nach zweieinhalb atemlosen Stunden isz die Welt als Mördergrube
emttarnt. Das Publikum hat mitfiebern und sich amüsieren dürfen. ein
gelungener Neuanfang.
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Bremer Anzeiger
Nora Somaini verpasst Shakespeares „Hamlet“ ein neues Gewand:
Mit Videoprojektionen, einem kühlen Bühnenbild und dem Verzicht auf die
gelegentlich klamaukigen Exkurse. Mit einem entschlackten Text, der ohne die
außenpolitischen Ereignisse auskommt und auch sonst ein paar Überraschungen
bietet. Dabei bleibt Hamlet immer Hamlet, allerdings gründlich von Klischees
befreit. Die Regisseurin klopft dem Stoff den Staub ab und zeigt einen
Hamlet, dessen Straucheln und Zaudern sich immer wieder auch körperlich
ausdrückt. Ohne das Stück zu überfrachten, sorgt das für einen spannenden
Abend, der von seinem Publikum einfordert, sich auf seine visuellen und
gestischen Mittel einzulassen und nicht zuletzt auch auf den Sound, den
Somaini geschaffen hat.
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nachtkritik
Der “Kaufmann von Venedig”, den Nora Somaini vor zweieinhalb
Jahren an der bremer shakespeare company inszenierte, überraschte mit einem
für die Company ganz unerwarteten Stil: Mit Videoprojektionen, einem kühlen
Bühnenbild und dem Verzicht auf die gelegentlich klamaukigen Exkurse, die
manche Inszenierung der Company würzen, brachte sie frischen Wind ins Haus.
Und ihr “Hamlet” erfüllte gestern Abend die Erwartungen, die in sie gesetzt
wurden. Mit einem entschlackten Text, der ganz ohne die außenpolitischen
Ereignisse um den norwegischen König Fortinbras auskommt und auch sonst ein
paar Überraschungen bietet, zeigt sie die Geschichte in einem Mikrokosmos,
der durch ein Halbrund aus Plastikfolie umgrenzt ist, welches das Personal in
aller Regel kriechend durch ein Loch im Boden betritt, während um die
Halbkugel herum immer wieder gespenstische Gestalten schlurfen. Die Folie
dient zugleich als Projektionsfläche für die Bilder der Handkamera auf der
Bühne. Reizvoll auch die Kostüme: Hamlet (Christian Bergmann) wird
beispielsweise als Muttersöhnchen in einem schreiend roten Pullunder
eingeführt, Claudius (Peter Lüchinger), sein frischgebackener Stiefvater,
steckt in einem futuristisch anmutenden Rock. Rasender Hamlet, staubfrei. So
klopft die Regisseurin dem Stoff den Staub ab und zeigt einen rasenden
Hamlet, dessen Straucheln und Zaudern sich immer wieder auch körperlich, in
epileptischen Anfällen, ausdrückt – eine Art moderner Fürst Myschkin aus
Dostojewskis “Idiot”. Dessen Moral scheitert am Zynismus der Macht, die Peter
Lüchinger als Claudius glänzend personifiziert, assistiert von seinem
Gefolgsmann Polonius (Michael Meyer). Ohne das Stück zu überfrachten, sorgt
das für einen spannenden Abend, der von seinem Publikum einfordert, sich auf
seine visuellen, gestischen Mittel einzulassen, und nicht zuletzt auch auf
den Sound, den Somaini geschaffen hat. Hoch artifiziell, geradezu kalt auf
der einen Seite, hoch emotional bei Hamlet, kindsköpfig bis an die Grenze des
Erträglichen bei Ophelia (Svea Meike Petersen, auch als Gertrude zu sehen).
Am Ende ist wenig Hoffnung: Nach dem Duell, bei dem sich Laertes (Gunnar
Haberland) und Hamlet in einer Art Wetttauchen messen, reiht sich selbst
Horatio (reizvoll zwischen naiv und weise changierend: Janina Zamani) ein in
die geisterhafte Prozession, die um die mittlerweile am Boden liegende Plastikhülle
kreist.
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Diabolo
Die
Inszenierung spielt mit dem Grotesken, das sich dem jungen Hamlet bietet. Die
dazu besonders choreographierte Bewegungssprache (Tanztraining: Christine
Stehno) sowie der Gebrauch von Sprechchor und anderen Überzeichnungen lassen
die Welt in absurdem Licht erscheinen. Dabei schafft es die Inszenierung mit
spielerischer Leichtigkeit (auch im Text!), das klassische Stück aufs Heute
zu beziehen. Stilistisch wird dazu auch das Medium Film eingesetzt. Christian
Bergmanns Hamlet, zum Anfang der Inszenierung noch ein verwöhnter,
ungefestigter und zaudernder Schuljunge mit Hang zur Beinahe-Ohnmacht,
entwickelt sich zusehends zum analytisch denkenden Erwachsenen, der
Verantwortung für sein Leben übernimmt. Unangestrengt und klug unterhält und
fesselt diese Inszenierung ihr Publikum über zwei Stunden und 40 Minuten,
indem sie ihre Sicht auf die Dinge auf den Punkt bringt. Was hier aber am
meisten begeistert: Nora Somaini lässt das durchweg überzeugende Ensemble
spielen und Ideen selber entwickeln. Viel Applaus für ein lebendiges Theater!
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Smells like Teen Spirit
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k.a.
Theater im Römer? Im ehrwürdigen, ja fast schon legendären
Römer? Alldort, wo wir unsere Jugend verschwendeten? Und nun – an von meinem
Schweiß einst benetzter Stätte – ein Stück Theater? Über Nirvana auch noch?
Den Anfang vom Ende – so und so gesehen? Auf der Suche nach der Essenz des
Rock? Über die Spuren, die die Musik von Nirvana in unseren Leben
hinterlassen habe? Über die Menschen, deren Lebensgefühl der den Titel
gebende Song ausgedrückt? Mal ganz doof gefragt: Wollen wir das wirklich? Die
künstlerische Durchdringung eines ja nunmal meinetwegen nicht harmlosen, aber
gewiss doch unschuldigen Vergnügens? Oder ist das vielleicht am Ende gar
nicht für „uns“? Sondern für nachfahrende Generationen, die nicht dabei waren
in jenen glorreichen Tagen?
Man weiß es nicht. Aber so sieht es aus: Es beginnt mit „Something In The
Way“ - Christian Bergmann singt es mit einer umweltschonenden Einkaufstasche
aus wiederverwertetem Papier über dem Kopf. Ja, da ist gewiss etwas im Weg –
der Stimme, dem Blick. Thorsten zum Felde spielt dazu Gitarre. Er liegt auf
dem Tresen. Eine Kamera über seinem Kopf überträgt das Bild seines Gesichts
auf mehrere Fernsehbildschirme, die im Club verteilt stehen. Dann stellen
sich die beiden nebeneinander auf die Bühne. „Here we are now – entertain
us...“ Sie sagen Hallo. Singen: Hallo hallo hallo hallo – wie in dem Song
„Smells Like Teen Spirit“.
Dann stellen sie sich vor. Als Kurt Cobain. Beide. Sagen, dass sie beide und
wir alle Kurt Cobain seien. Klar: Projektion, Identifikation. Dann sind wir
also wirklich alle ein bisschen Cobain.
Kurt Cobain, also eigentlich ja wir, erzählen uns von den Fahrten zur Probe
in einem alten Mazda 626, voller Löcher, die wir mit Kaugummi stopfen. Von
einem Riff – vier Power Chords, also jene schlichtesten aller Gitarrengriffe,
ohne die Rockmusik nicht denkbar wäre – und wie wir sie solange spielten, bis
alle anderen es auch gut fanden. Also auch wir.
Bekenntnisse des Herrn Cobain: Er wolle geliebt werden. Wolle diesen Moment
mit allen gemeinsam erleben. Wolle allein sein. Widersprüche eines jungen
Mannes, der mit hohem moralischen Anspruch die Welt um sich herum
begutachtete, sie als mangelhaft empfand, aber ohne ihre Liebe nicht leben
wollte.
Der Rückzug auf die Toilette, aber auch dort: Kameras. Das muss einen ja
fertigmachen. Er dankt uns – pardon: wir danken uns mit ein wenig Sarkasmus,
einer Prise Moral – nicht unkomisch gleichwohl.
An Superman fasziniert uns übrigens, dass sein Alter Ego – anders als bei
anderen Superhelden – eben nicht der Superheld, sondern der schwächliche
Clark Kent war: Eine geradezu religiöse Totalkritik des fehlerhaften,
unfähigen Menschen an und für sich, demgegenüber der annähernd omnipotente
Superman steht wie bei allerlei Gläubigen je nach Laune Gott oder eine andere
höhere Wesenheit, die alles besser weiß. Für den kleinen Kurt war das alles
viel zu viel. Weshalb er sich – aber das wissen wir ja – denn wir sind er.
Wir überlebenden Cobains aber dürfen am Ende alle eine umweltschonende
Einkaufstasche aus wiederverwertetem Papier über unsere Köpfe stülpen. Um
endlich den Song zu hören, der dem Abend den Titel gab – nachhaltig
dekonstruiert von den beiden Musikern Bergmann und zum Felde. Es roch nur
einst so, nach Teen Spirit, nicht mehr heute - in der Einkaufstüte. Der
Selbstmord des Kurt Cobain war die radikale Verwirklichung seiner
Selbstkritik. Wir, die wir geblieben sind, haben andere Konsequenzen gezogen.
Dass sich Cobains Person allerdings auch nicht in dieser Sinnkrise
erschöpfte, bekommen wir an diesem Abend immerhin auch zu sehen und zu hören.
Sein trockener Witz, die punkige Unverschämtheit, das Spiel mit
Geschlechterrollen. Das scheint durch die Textfragmente und die Musik
hindurch. Also das, was uns zu Kurt Cobain, weil nämlich ihn zu einer
einladenden Projektionsfläche für die rebellischen Attitüden machte, die sich
für die meisten seiner Wiedergänger – also uns – im Alltag verbaten und
verbieten. Die Essenz des Rock ist anderswo. Ein Abglanz bleibt, dem die
spartanische Inszenierung von Katrin Bretschneider und Noah Holtwiesche
Ausdruck verleiht. Angemessen abgetragen
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Weserkurier
Die eine Hälfte des Abends besteht aus perfekt interpretierten
Nirvana Songs, leidenschaftlich und sehr gekonnt von beiden gesungen. Die
andere Hälfte bietet einen kontemplativen Freiraum an, in dem dem Zuschauer
die Möglichkeit zur eigenen Reflexion gegeben wird. War da was mit Generation
X …? Die Zuschauer, die auf Pappkisten oder Barhockern sitzen, genießen den
trockenen Humor, mit dem sicherlich auch der 1994 verstorbene Cobain
einverstanden gewesen wäre. Thorsten zum Felde singt dazu mit jenem
stimmlichen Kick, der die angeknackste Persönlichkeit des Nirvana Sängers
zitiert. Und Christian Bergmann entfesselt die uferlose Aggression des
drogenkranken Cobains, wenn er zwischen Toilettenraum und Bar jagt und per
Megaphon wütet, weint und wummert und dem Vorbild dabei beängstigend nahe
kommt.
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Bremer Anzeiger
Es ist gelungen, mit wenigen Mitteln, auch Dank der schön
harmonierenden Stimmen von Christian Bergmann und Thorsten zum Felde, ein
Gefühl wieder zu beleben, das Nirvana in den 90er Jahren einer ganzen Generation
vermittelte. Gleichzeitig wurde aber auch die Schizophrenie des Starseins
spürbar – der Wunsch unsichtbar zu sein und gleichzeitig nach Ruhm und
Aufmerksamkeit zu gieren. Der RÖMER entpuppte sich dabei als ideale Bühne für
den kurzweiligen Abend.
↓ Weser-Report
Mal machen sie Musik, Klassiker wie „Something in the way“,
„Polly“ und „Dumb“, stehen auf der Bühne, mal verschwinden sie in den
Waschräumen des RÖMER, sie machen Lust, wieder die alten Nirvana-Platten
rauszuholen. Die Szenenwechsel sind sprunghaft, das Stück verwirrend und
irritierend – eben genauso wie die Zeit Anfang der Neunziger Jahre.
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Mundtot
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↓ boulevard-baden.de 28.04.2012 7:15
Arnsberg
(dapd-nrw).
Erwartungsvoll blickt Klaus Mücke auf die winzige Ampel an der kugelsicheren
Glastür. Dann leuchtet "Grün" auf, der Rentner betritt zaghaft den
Raum, die Schleuse zum Landgericht Arnsberg. Sein Jackett muss er in eine
graue Plastikschale legen, dann winkt ihn ein Aufseher durch den
Körperscanner, so wie am Flughafen. Dabei will der Mann aus Bremen am Freitag
doch eigentlich nur eine Oper anschauen. Es ist das Mafia-Stück
"Mundtot" des Krimiautors Jürgen Alberts, der sich den
Schwurgerichtssaal als Spielort ausgesucht hat - mit all seinen
Sicherheitsbestimmungen.
Mücke ist froh: Der Scanner hat nicht gepiept, er darf sein Jackett wieder
über das rote Hemd streifen. "Es ist schon richtig, dass kontrolliert
wird", räumt er ein. Die Oper sei schließlich nicht ohne Risiko.
"Die Mafiosi werden im Stück stark kritisiert und sind dann bestimmt
nicht zimperlich", fürchtet er. Deutlich ist dem 74-Jährigen die
Unsicherheit anzumerken. Als eine Frau neben ihm munkelt, dass Arnsberg sogar
ein Nest der Mafia-Clans sei, will er schon fast seinen Namen nicht mehr
nennen. "Nachher sind die noch hinter mir her", sagt er und
verschwindet in Richtung Gerichtssaal.
Dort packt ein Zeuge (Luca Zamperoni) gegen seinen früheren Mafia-Boss
(Christian Bergmann) aus. Fast zerrissen wirkt das weiße Jackett des
Abtrünnigen, es zeugt von Mord und Totschlag. Ein Mann wurde ausgehungerten
Ebern zum Fraß vorgeworfen, so erinnert sich das ehemalige Mafia-Mitglied.
Alles scheint wie bei einem echten Prozess - auch sonst werden Morde im Schwurgerichtssaal
verhandelt. Doch diesmal ist er nur Bühne für die Machenschaften der
italienischen 'Ndrangheta. Zwölf Librettos erzählen von den Untaten, die der
Mafia-Organisation laut den Geständnissen des früheren Mörders und heutigen
Kronzeugen Giorgio Basile zugerechnet werden.
Wie gefesselt sitzt Francesco Pucciarini auf einem stoffbezogenen Stuhl, dort
wo sonst die Zuschauer echte Mordprozesse verfolgen. Er ist für die
Mafia-Oper extra aus dem norditalienischen Livorno angereist, und wohl auch,
um seinen Onkel Marco Lenzi zu sehen, der die zwölf Gesänge des Librettos
vertont hat. Gebannt lauscht er dem Zeugen: "Es ist die Angst, vor den
anderen zu versagen", erklärt dieser gerade den Mord an seinem besten
Freund. "Ich wusste nicht, dass die Mafia auch in Deutschland ist",
sagt Pucciarini erstaunt in gebrochenem Englisch. Er hofft, dass das Stück
etwas daran ändert.
Damit hat er den Nerv des Krimiautors getroffen. "Ich schmiede ein
Bündnis mit denjenigen, die selbst an Aufklärung interessiert sind", erklärt
Alberts den ungewöhnlichen Spielort. Den Saal zu bekommen sei überhaupt kein
Problem gewesen. Die Kontrollen gehören dazu. "Es könnte ja sein, dass
jemand etwas Böses will und Waffen deponiert", sagt die
Gerichtssprecherin Julia Lange. Die Autorität der Justiz sieht sie durch die
Opernaufführung nicht verletzt. "Die Menschen können Realität und
künstlerische Freiheit auseinanderhalten", ist sie sich sicher.
Geradezu begeistert von dem ungewöhnlichen Schauplatz ist Werner Wolff von
der Staatsanwaltschaft Arnsberg. Auch er ist Zuschauer der Oper, die Alberts
nach den Morden an sechs Italienern in Duisburg im Jahr 2007 zu schreiben
begonnen hat. "Viele Menschen haben noch nie ein Gericht von innen
gesehen, für diese ist das sehr spannend", sagt er. Er selbst drückt
mehrmals im Monat in diesem Saal die Gerichtsbank. "Jetzt sitze ich mal
hinten und sehe, was die vorne so machen", freut er sich über die neue
Perspektive.
"Noch bevor du den Saal verlassen wirst, wird dein Kopf
zerplatzen", droht der Mafia-Boss. Das Licht geht aus. Drei Schüsse
fallen. Dann ist der Zeuge tot. Die Zuschauer verharren regungslos auf ihren
Stühlen, es dauert einige Sekunden bis sie tosend Beifall klatschen.
"Der Raum macht sehr viel mit den Zuschauern, da muss ich mich selbst ein
bisschen zurücknehmen", weiß Schauspieler Christian Bergmann. Das ist
ihm gelungen. Klaus Mücke verlässt bedächtig den Gerichtssaal - und beäugt
noch einmal kritisch den Körperscanner, bevor er sich in Gedanken an die
Mafia auf den Heimweg macht.
Es war so etwas wie der heimliche Höhepunkt der Criminale 2012 im
Hochsauerlandkreis: Der Schwurgerichtssaal des Arnsberger Landgerichts als
authentischer Schauplatz einer Opernuraufführung.
↓ Kreiszeitung Syke
Bremen -
Von Andreas Schnell
Die Szenerie ist karg: ein paar Tische im Halbkreis, ein Stuhl davor.
Gerichtssäle sehen im echten Leben zwar manchmal prunkvoller aus, aber sie
sind doch eher prosaische Orte. In diesem hier geht es gleichwohl um hohe
Werte, um den Kampf zwischen dem staatlichen Gewaltmonopol und einer
Organisation, die ihre eigenen Gesetze hat, ihre eigene Justiz.
Wie es in dieser Organisation zugeht, erfahren wir in der Bremer Concordia
von einem Ex-Mafioso, der als Zeuge gegen seinen ehemaligen Chef aussagt. Da
werden in Missgunst gefallene Mitarbeiter im Schweinekoben entsorgt oder auf
offener Straße erschossen. Natürlich gibt es Schutzgelderpressung und derlei
mehr, aber auch für die Entsorgung von Müll im großen Stil ist die Mafia, in
diesem Fall die ‘Ndrangheta, also die kalabrische Version, der richtige
Ansprechpartner, wie der Angeklagte in einem lässigen Liedchen singt: „Sie
brauchen Drogen? Wir schaffen sie herbei ... Sie wollen saubres Geld? Wir
waschen jede Summe.“
Die Mafia, sie ist eben kein bloß altertümliches Relikt, sondern durchdringt
die ganze Gesellschaft. Das alles klingt nicht unbedingt neu. Kino und
Literatur beschäftigen sich seit langem mit dem Thema, mal mehr gleichsam
ethnologisch um die die eigentümlichen Ehrenkodices kreisend, mal eher von
der Seite der wackeren Rechtshüter her gedacht, die den schwierigen Kampf
gegen das organisierte Verbrechen führen.
Auf deren Seite steht auch Jürgen Alberts, der mit „Die Chop-Suey Gang“ schon
1989 einen Mafia-Krimi veröffentlichte. Seine Mafia-Oper „Mundtot – messo a
tacere“ , die am Freitagabend in der Concordia Bremen-Premiere feierte,
allerdings keine echte Oper ist, lässt einiges der Problematik im Kampf gegen
die Mafia erkennen. Der Richter, gespielt von Frank Auerbach, scheint gegen
Ende durchaus beeindruckt von der mehr oder minder latenten Bedrohung auch
seiner Sicherheit, der angeklagte Mafioso, süffisant dargeboten von Christian
Bergmann, erweist sich bis kurz vor Schluss als souverän und aalglatt, sein
Anwalt (Gunnar Haberland) spielt siegesgewiss auf der juristischen Klaviatur.
Es ist der Zeuge (Luca Zamperoni) allein, der den Angeklagten hinter Gitter
bringen kann. Und der ist abgerissen, verhärmt, singt mit zittriger Stimme
von den üblen Dingen, die ihm widerfahren sind und zu denen ihn die
„ehrenwerte Gesellschaft“ brachte, sogar zum Mörder wurde er.
Am Ende muss er sterben – sein einstiger Freund droht: „Noch bevor du den
Saal verlässt, wird deine Haut brennen!“ Was einem Geständnis gleichkommt.
Doch das hilft zumindest dem Zeugen nicht mehr, der erkannt hat, dass er ein
lebensgefährliches Spiel spielt. Es wird dunkel, Schüsse erklingen, er liegt
tot am Boden. Ende offen.
Was natürlich bedeutet: Hier liegt der Hase im Pfeffer begraben oder vielmehr
der Zeuge im Koben. Für diese Botschaft hat Alberts einiges auf sich
genommen: Die Produktion kommt ohne große Förderung aus. „Wir spielen auf
Zapfhahn“, sagt der Autor im anschließenden Gespräch. Und man merkt es der
Produktion auch an: Die Musik, die durchaus reizvoll zwischen dunkel
raunender Dramatik, dezenter Avantgarde des frühen 20. Jahrhunderts und
mahlenden Geräuschcollagen changiert, kommt aus der Konserve. Und ist auch
nicht mit Band oder Orchester aufgenommen, sondern offenbar am Computer des
Komponisten Marco Lenzi aufgenommen. Zamperoni, der die meisten Gesangsparts
zu bewältigen hat, lässt die Angst seiner Figur beklemmend spürbar werden,
wenn er bisweilen haarscharf am Ton vorbeivibriert. Und wenn die
Staatsanwältin (Andrea zum Felde) ihre Sache gesanglich vertritt, dürfen wir
fast an Brecht und Weill denken. Schließlich sei noch der Gerichtsreporter
(Marco Nola) erwähnt, der den Abend gewissermaßen moderiert.
Allerdings könnte der Abend viel eher als einen Moderator die ordnende Hand
eines Regie-Profis vertragen, der die an und für sich spannende Story
verdichtet und stringent zum Höhepunkt führt, die bei der Bremer Premiere am
Freitagabend doch etwas zäh ausgebreitet wurde.
Aber es geht Alberts offenbar weniger um große Kunst als um sein
gesellschaftliches Anliegen, weshalb er Innensenator Ulrich Mäurer und
Andreas Weber, Leiter der Bremer Kripo, zum Gespräch bat. Wer jetzt immer
noch nicht wusste, was an dem Stoff für unsereins brisant sein könnte,
erfuhr, dass Deutschland das Hinterland der Mafia ist, dass auch in Bremer
Häfen die Container mit den Drogen umgeschlagen werden und trotz
gelegentlicher Erfolge der Behörden gewiss manche Tonne Koks unbemerkt
durchgeht. Mäurer: „Das meiste spielt sich im so genannten Dunkelfeld ab“,
und von dem ist bekannt, dass es vor allem dunkel ist.
Allerdings: Die organisierte Kriminalität in Deutschland sei vor allem in
deutscher Hand und durchdringe den Alltag weniger als in manchen Gegenden
Italiens. Polizeichef Weber betonte, wegen der Mafia müsse in Bremen niemand
schlaflose Nächte haben, wenn es Grund zur Sorge gibt, dann eher wegen Raub-
und Einbruchsdelikten. Die Polizei sei aber in jedem Fall „sehr wachsam“.
Alberts bringt seine Mafia-Oper nun erstmal nach Hamburg. Und hofft auf
weitere Unterstützung in seinem Kampf gegen die Mafia.
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